Die Erlebnisse des Vokalensembles Sinsheim im Theaterhaus Stuttgart – ein Nachklang

Klick zur Galerie: Bilder von Martin Sigmund

Nach sehr abenteuerlichen Bahnfahrten zur Hauptprobe am Tag zuvor reist der Chor am 05.02.2020 am Nachmittag bequem bei Sonnenschein mit dem Bus zur Eröffnungsveranstaltung des Eclat–Festivals an. Zur Aufführung gelangt am Abend die Komposition „Sinshome, oder: Die größte Kraft“, jene Performance von Christoph Ogiermann und Tim Schomacker von „KLANK“, welche im Januar bereits in der Dr.-Sieber-Halle zu erleben war und im Publikum (verständliche) Reaktionen von Begeisterung bis hin zu Entrüstung ausgelöst hatte.

Auf jeden Fall handelte es sich um ein spannendes Erlebnis, und so soll es auch weiter gehen.

Empfangen werden wir in Stuttgart sofort an der Tür von Frau Hintersteiner, der freundlichen Mitarbeiterin von „Musik der Jahrhunderte“, die uns die Wege weist und wichtige Dinge erklärt. Empfangen werden wir ebenfalls von der ganz besonderen Atmosphäre des Theaterhauses mit seinem historischen Industrieflair: Backstein kombiniert mit Stahlträgern und Glas, großzügiges Foyer mit unendlich lang erscheinender Bar – Theke; von uns interessiert und gleichzeitig bedauernd wahrgenommen, da noch nicht geöffnet. Die großzügige Treppe führt uns nach oben zum „Glashaus“, unserem Aufenthaltsraum für diesen Tag; alles in offener Bauweise gehalten. Die Wege innerhalb des Hauses eher verwirrend, und nur unter Führung erreicht man den kleinen Café–Raum für die Künstler, zu denen wir heute gehören. Dort treffen einige dann auch einen von einem privaten Theaterhaus–Besuch im letzten Jahr bekannten Bass-Sänger: Andreas Fischer von den Neuen Vocalsolisten Suttgart. Zum Kaffee trinken, uns umschauen und schwätzen haben wir viel Zeit.

Die Generalprobe im großen, dunkel gehaltenen Aufführungsraum verläuft sehr effektiv, produktiv und gleichzeitig relativ entspannt; man spürt, dass mit den Leuten von KLANK, den Technikern und dem Chorleiter Erwin Schaffer Macher am Werk sind, die genau wissen, was sie wollen; außerdem profitiert man auch von den Erfahrungen in Sinsheim. Und auch hier verblüfft bereits bei der Probe, was bereits in Sinsheim erlebt wurde: Wie unglaublich schnell dieses Stück ist, das ja aus verschiedenen einzelnen Teilen besteht; man hat keine Zeit, auch nur eine Sekunde über eine Einzelheit nachzudenken. Die Uhr diktiert sowieso das Ganze und sitzt auch dem Chorleiter nicht nur im Nacken, sondern in Sekunden – Anzeige vor Augen. Wo Zeit verloren geht, muss sie woanders eingespart werden, falls möglich – sonst passen die Teile nicht zusammen. Auch das fasziniert, und als einfacher Chorsänger versteht man immer besser, wie dieses Gesamtwerk funktioniert. Recht zuversichtlich harrt unser Team denn auch der Aufführung am Abend, wo außer uns zwei weitere „Tandems“ aus Laien- und Profi – Ensemble auftreten.

Eine größere Aufregung gibt es, als bekannt wird, dass wir nach den anderen Ensembles und vor allem auch erst nach einem Sektempfang eingeplant sind, weil wir viel Zeit zum Aufbauen benötigen – die drei Gruppen treten nahtlos nacheinander auf und dazwischen wird um- bzw. aufgebaut. Aufregung deshalb, weil es - auch ein Essen wartet(?) noch auf uns - dadurch recht spät wird, viele am nächsten Tag arbeiten müssen und auch der Busfahrer an diesem Tag dann zu lange arbeiten muss. Dieser allerdings ist unglaublich nett und meinte schon vorher, er richte sich ganz nach uns…Aber zu viel zumuten möchten wir ihm nicht.

Zurück im Glashaus vergegenwärtigt man sich nochmals den Ablauf, legt letzte Hand an´s Outfit - auch die Männer müssen geschminkt werden : Augenbrauen dunkel, Münder fast schwarz: erstaunlich, wie so manche(r) danach aussieht – eher nach Hauptrolle als „Mephisto“! Dann die Diskussion, ob wir denn in dieser Aufmachung raus ins Foyer könnten, wo sich inzwischen ein zahlreiches Publikum eingefunden hat. Der Chorleiter macht Mut: „Da draußen fallt ihr überhaupt nicht auf!“ Dort draußen geht es quirlig zu; ein sehr gemischtes Publikum, sowohl alters- als auch outfitmäßig, verbreitet eine unglaublich fröhliche, erwartungsvolle und gleichzeitig gelassene Stimmung. Frau Fischer, die Leiterin des Festivals, äußert in ihrer Eröffnungsansprache interessante Gedanken zur Kunst allgemein, zum Geist des Festivals im Besonderen und spart auch kritische Betrachtungen zu einer aktuellen politischen Lage nicht aus, bevor sie kurz zu den drei nun bevorstehenden Darbietungen überleitet.

Das Vokalensemble schaut und hört bei den beiden anderen Ensembles interessiert zu: Einmal in kleinen Gruppen im Raum verteilte Bläser, zwischen denen man sich wie in einer Ausstellung bewegen kann, was je nach Lage im Raum unterschiedliche Höreindrücke erzeugt, das andere Mal eine größere Streichergruppe mit z.T. ungewohnten Klängen. Etwas hinderlich ist für das Vokalensemble, dass es die für die eigene Darbietung nötigen Instrumente, bestehend aus Steinen, Hölzern, Schraubenschlüsseln und Plastikflaschen, mit sich führen muss, da nicht auszuschließen ist, dass diese Dinge evtl. im Glashaus eingeschlossen würden und damit nicht mehr verfügbar wären. Undenkbar, in einem anderen Theater einer Vorstellung mit solchen Utensilien beizuwohnen; im Theaterhaus Stuttgart völlig normal, da das Publikum sich denken kann, was es damit auf sich haben könnte und sowieso alles ganz ungezwungen abläuft. Fast vergessen ist in diesem Moment schon die Aufregung um unsere „Verspätung“, zumal uns auch versprochen wurde, dass der Sektempfang nicht zu lange ausgedehnt werde.

Der ist dann auch richtig nett; an Stehtischen kann man interessante Leute kennen lernen, die nach einer gewissen Aufklärung über unser Stück schwanken zwischen begeisterter und eher ängstlicher Erwartung, auf jeden Fall aber bleiben wollen.

Die Aufführung selbst ist dann erwartungsgemäß fast zu schnell vorbei (O-Ton einer Sängerin: “Als wir bei dem Wort „….“ waren, dachte ich, oh schade, jetzt geht´s nimmer lang.“) und klappt ziemlich gut; so langsam fängt die Sache an, Spaß zu machen. Die Bedingungen sind auch wirklich angenehm: gutes Licht, gute Gänge durch passende Räumlichkeit, und – wichtig - extra Ablagen bei den Notenständern für die „Musikinstrumente“, die nicht im unpassenden Moment von sich hören lassen sollen.

Von besonderer Wirkung ist der Schluss der Geschichte, wenn sich die Chormitglieder in der Dunkelheit nach und nach seitlich des Publikums begeben, deklamieren, laute Töne in unterschiedlicher Höhe singen und sich „vereinzelt“ haben, indem sie sich selber mit Smartphones filmen, die die Technik in Echtzeit auf eine Leinwand projiziert. Wenn dann der Chor laut weiter singend den Raum verlässt, nach gewisser Zeit draußen laut schimpft, wieder weiter singt und plötzlich der Ton abreißt, lässt das Gänsehaut sicher nicht nur bei dem ein oder anderen Chormitglied aufkommen. Auf der Leinwand im Raum können die Zuhörer die einzelnen Sänger/innen weiterhin beobachten.

Das Stück ist zu Ende.

Dann der Moment, in dem man wieder in den Raum zurück kommt in etwas ängstlicher (?) Erwartung, was denn das Publikum wohl meine zu der Sache: Die Leute feiern die Aufführung mit stehenden Ovationen und Bravo – Rufen! Ein unglaubliches Gefühl! In der Oper hätte es viele „Vorhänge“ gegeben. Fast ausgelassen läuft der Chorleiter das „Spalier“ der Darsteller ab. In einer Reihe stehen direkt vor dem Publikum und sich wie auf Kommando verbeugen, muss auch geübt sein; hier ist beim Chor noch Luft nach oben. Besondere und verdiente Begeisterung ruft „Parano“ hervor; eine Rolle als eine Art kommentierender „Idiot“, der an vielen Stellen des Stückes ertönt vom tiefen bedrohlich wirkenden Bass bis hin zu irre machenden Höhen. Es war einfach „irre“, was der „normale“ Chorsänger Berkan Zerafet als Counter – Tenor leistete.

Mit Freude im Herzen geht es dann zum Essen in das dem Theaterhaus angeschlossene Lokal – das Essen, zu dem wir eingeladen sind, ist reichlich und gut, der Wein auch. Manch einer hätte gerne länger verweilt, wenn nicht die „Busverantwortliche“ aus Sorge um den Busfahrer zum Aufbruch gemahnt hätte. Nun, so ein kleiner Wehmutstropfen sollte dieses wunderbare Erlebnis nicht zu sehr schmälern.

Text: Ilse Bentler / Fotos: Michael Schuchmann